Ein einziger Social-Media-Beitrag von Jackson Irvine, dem Kapitän des FC St. Pauli, löste wochenlange Debatten aus – unter Fans, Sponsoren, der Vereinsführung und den Medien. Der Fall wirft eine allgemeine Frage auf, mit der viele Fußballvereine und Unternehmen gleichermaßen zu kämpfen haben: Wie sollten Organisationen mit Mitarbeitern umgehen, die öffentlich politische Meinungen äußern und dabei eine (imaginäre) Grenze überschreiten?
Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, am Podcast #MillernTalk des Hamburger Abendblatts teilzunehmen, der von den beiden Sportreportern Rupert Fabig und Maximilian Bronner moderiert wird, um ein Thema zu diskutieren, das an der Schnittstelle von Sport, Kommunikation und Reputationsmanagement liegt:
Wie geht man mit Spielern (oder Mitarbeitern) um, die in den sozialen Medien kontroverse – wenn auch nicht extremistische – politische Ansichten äußern?
Auslöser für die Diskussion war ein aktueller Fall, in dem Jackson Irvine, Kapitän des deutschen Fußballvereins FC St. Pauli, einer Mannschaft, die für ihre politisch aktiven und sozialbewussten Fans bekannt ist, involviert war.
Im Juni hatte Irvine ein Selfie gepostet, auf dem er das Trikot eines fiktiven Vereins „FC Palästina” trug – mit einem Logo, das die Grenzen des Staates Palästina einschließlich des Territoriums Israels zeigte. Man konnte das – ohne viel bösen Willen – so interpretieren, dass Irvine Israel das Existenzrecht abspricht.
Was folgte, war eine Kommunikationslawine. Fangruppen, Vereinsmitglieder und Amtsträger, Sponsoren, Medien und sogar Irvines Frau schalteten sich in die Debatte ein.
Eine lauwarme Entschuldigung von Irvine stieß auf wenig Begeisterung, sie sorgte stattdessen für noch mehr Aufruhr. Ein Mitglied des Aufsichtsrats des FC St. Pauli veröffentlichte einen unangemessenen Kommentar auf Irvines Instagram-Account. Die Geschichte schwelt also seit Wochen und Monaten und geht über den einzelnen Social-Media-Beitrag weit hinaus – sie wird zu dem, was Krisenexperten als „sticky crisis“ bezeichnen: eine Krise, die emotional aufgeladen ist, polarisiert und einfach nicht verschwindet.
Zwei wichtige Erkenntnisse aus dem Podcast:
1️⃣ Hoffnung ist keine Strategie. Die meisten Fußballvereine – und, offen gesagt, die meisten Unternehmen – sind auf solche Fälle nicht gut vorbereitet. Sie sitzen es aus und verlassen sich darauf, dass „uns das nicht passieren wird“. Bis es dann doch passiert. In der heutigen Zeit, in der persönliche Meinungsäußerungen und Unternehmensidentität oft kollidieren, braucht jede Organisation einen klaren Leitfaden, wie sie reagieren soll, wenn der persönliche Beitrag eines Mitarbeiters zu einem öffentlichen Thema wird und eine rote Linie überschreitet. Und nicht nur bei den gängigen, konsensfähigen Themen, sondern gerade bei denen, die ambivalent und damit schwer zu fassen sind.
2️⃣ Schweigen schränkt den Handlungsspielraum ein. In Krisen wie diesen ist das Timing entscheidend. Je länger eine Organisation wartet, um eine schwelende Kontroverse anzugehen, desto weniger gangbare Optionen bleiben. Was zu Beginn noch ruhig hätte gehandhabt werden können, erfordert später möglicherweise eine defensive, reaktive Haltung – die selten jemanden zufriedenstellt.
Wie geht es weiter für den FC St. Pauli?
Letztendlich wird auch diese Kontroverse aus den Schlagzeilen verschwinden. Aber einfach „weitermachen” wäre die falsche Lehre. Für einen Verein wie St. Pauli – mit einer Identität, die stark in sozialem Bewusstsein verwurzelt ist – bietet dieser Fall eine wertvolle Gelegenheit, zu reflektieren und sich vorzubereiten: klarere interne Richtlinien zu definieren, Sprecher zu schulen und zu antizipieren, wie solche Debatten in die übergeordneten Werte und Kommunikationsprinzipien des Vereins passen.
Denn wie dieser Fall zeigt, halten Werte nur dann Druck stand, wenn sie konsequent gelebt und kommuniziert werden.


Schreibe einen Kommentar